Hochseefischer Welt
Fahrzeitberichte
….nachgedacht und aufgeschrieben von Reinhard Sommer
Arbeitsunfall auf ROS 212 „Eisenach“ Also die Sache mit dem SU-Frachter war so, wir fischten als Einzelfahrer sehr weit im Süden des USA-Schelfes. Soweit ich mich erinnere, sollten wir als Versuch Schildmakrelen fangen und salzen. In Rostock wollte man dann versuchen, aus den Salzmakrelen etwas für die Bevölkerung zu machen. Deshalb erhielten wir auch Durchschnitt + Fangprämie. Das Geld stimmte zwar, aber die Makrelen sonderten nach dem Noppen einen Saft ab, der die Haut zwischen den Fingern zerfraß. Anfangs wussten wir nicht, dass die Dederonschlachthandschuhe den Vorgang noch beschleunigten. Es war sehr schmerzhaft. Abhilfe brachten dann dünne Gummihandschuhe, die wir uns anfangs noch privat von zu Hause schicken ließen. Wieso die Privatpost so gut lief, weiß ich nicht mehr so genau. Ich glaube aber, wir wurden über die DSR von planmäßigem Kubafahrern mit Post versorgt. Soviel der Vorrede, es geht ja eigentlich um die medizinische Hilfe, die ich erfahren habe. Nach einem Aussetzen sind wir an Deck geblieben und haben irgendwas gehievt. Ich war am Steuerbordspillkopf. Auf der Brücke hatte der Alte sein Fenster auf und rauchte. Dann warf er die noch brennende Kippe aus dem Fenster. Die flog aber nicht wie geplant in Wasser, sondern auf die Bremstrommel. Durch den Aufprall stoben kleine brennende Tabakteile umher. Und so einen Funken bekam ich in mein rechtes Auge. Im ersten Moment war die Sache nicht dramatisch. Ich hatte einfach das Gefühl, als wenn ein Staubkorn in mein Auge geraten ist. Also ging es weiter mit der Arbeit. Nach einiger Zeit wurde das Brennen aber immer schlimmer und ich habe einen Netzmacher gefragt, ob etwas an meinem Auge zu erkennen sei. „Hähnchen“ (Gerd Hahn) hat gesagt, dass das Auge feuerrot sei und mich sofort zum I. (Offizier) auf die Brücke gejagt. Der hat auch sofort eine Augenspülung mit Kamille gemacht, aber es wurde nicht besser und schmerzte sehr. Dann hat er den Alten informiert. Der hat dann den Funker gefragt, ob in der Nähe ein deutsches Fischerei-Grossschiff oder ein Frachter sei. Keine Chance. Dann wurde über Rügen-Radio mit einem Arzt gesprochen. Der meinte, so schnell wie möglich an Land, aber von Kuba und Mexiko, was relativ in der Nähe war, riet er ab. Dort wäre eine qualifizierte Behandlung sofort kaum möglich und bei mir bestände die Gefahr, dass ohne fachgerechte und schnelle Behandlung eine Erblindung auf dem Auge droht. Der Alte beschloss dann, die Fischerei abzubrechen und die USA-Küstenwache zu erreichen. Während des Hievens, ich blieb die ganze Zeit mit einer Augenklappe als Rudergänger auf der Brücke, lief ein Frachter achtern auf. Als er fast querab stand, konnte man am Schornstein Hammer und Sichel erkennen. Da sagte der Alte zu Uli, dem I.: „Du hast doch auf deiner Hochschule (er meinte das Hochschulstudium zum B5 des Ersten) Russisch studiert, nun frag mal den „Towarisch“ ob er einen Arzt an Bord hat.“ Viel hatte Uli aber nicht mehr in Erinnerung, ich glaube da war er nicht der Einzige, der von seinem Schulrussich wenig profitierte, er nahm also den Hörer des UKW-Telefons, ging auf Kanal 16 und rief: Hello, Sowjetski Ship, fratch help germanski Trawler“. Nach 3x Anruf kam dann als Antwort nur „O.K.“ Auf der Brücke wusste man nicht, was von dieser Reaktion zu halten war. Es war schon ein kleines Wunder, das der Towarisch auf Kanal 16 war, die hatten doch eigentlich mit den internationalen Geflogenheiten nichts am Hut. Aber was bedeutete das „OK“. Hat der Empfänger die doch etwas hilflose Anrede verstanden oder denkt er, es wäre nur ein Gruß? Bevor die Angelegenheit ausdiskutiert werden konnte, rief der Funker: Der hat gestoppt!“ Und tatsächlich, wir konnten erkennen, das der Frachter, vom Typ her ähnlich unseres Breitlings, die Maschine Rückwärts laufen ließ, um Fahrt aus dem Schiff zu nehmen. Nachdem beide Schiffe neben einander trieben, wurde vom Frachter ein Beiboot zu Wasser gelassen und nahm Kurs auf uns. Die ganze Aktion lief ohne weiteren UKW-Ruf ab. Als der Kutter bei uns längsseits ging, konnten wir neben drei Mann Besatzung auch eine Frau erkennen. Uli war an Deck geeilt, ließ die Jakobsleiter ausbringen und empfing die Frau. Diese erklärte auf Englisch, dass sie Ärztin sei und ihre Hilfe anbot. Auf der Brücke untersuchte sie mein Auge intensiv und sagte dann, dass ich auf ihr Schiff zur OP müsste. Da ich immer noch die Decksklamotten anhatte, ging ich mich schnell etwas umziehen und dann wurde sofort aufs andere Schiff übergesetzt. Ohne großes Drumherum wurde ich dort sofort in den Med-Punkt dirigiert. Jetzt war ich am Staunen. Wie in einem richtigen Krankenhaus war hier alles vorhanden. OP-Tisch mit riesigen Spiegelleuchten, einen so modernen Zahnarztstuhl hatte ich noch nicht gesehen, dass die dritte Liege ein Frauen-Arzt Gyn.Stuhl war, habe ich erst viel später kapiert. Ohne Zeitverzug landete ich im Zahnarzt-Behandlungsstuhl und die Ärztin erklärte mir in einer sehr einfachen, aber voll verständlichen Zeichensprache, dass ich in Narkose versetzt würde und das dabei mein Auge operiert werden würde. Später an Land in Rostock hat mir dann ein Hafenarzt erklärt, dass der Funke ein Loch in meine Hornhaut gebrannt hat, und dass die Ärztin dieses Loch zugeschmolzen hat. Bevor die Narkose einsetzte, war dies jetzt der erste ruhige Moment für mich und ich konnte die Ärztin mit den Augen eines Mannes auf einer bis jetzt 73 Tage dauernden Reise ansehen. Ein Traum, asiatischer Typ, aber groß und sehr gut gebaut, sehr lange pechschwarze Haare. Wie ich nun so am träumen bin, beugt sich die Frau über mich und prüft, ob die Narkose schon wirkt. War aber nicht- eine brutal intensive Knoblauchwolke hüllte mich ein, die Narkose wäre völlig überflüssig, der Knoblauchduft hätte mich schon allein hingerafft. Ich will aber nicht all zu sehr lästern, wer weiß, wie ich gestunken habe, die Bettwäsche wurde ja auch erst auf der Heimreise gewechselt, zwischendurch höchstens mal gewendet, Duschen war auf der „Eisenach“ absoluter Luxus, die Seitentrawlerfahrer werden wissen, wie dass so gewesen ist. Irgendwann bin ich dann wieder munter geworden, das Auge war total verbunden, aber der Schmerz war weg. Und an meiner Schlingerkoje (da bin das erste und einzige Mal seekrank geworden, man liegt völlig ruhig – dafür bewegt sich die Kabine) saß der III. Nautische Offizier. Er erzählte mir, dass die Ärztin auf 24 Std. Beobachtung bestanden hätte, der Dampfer solange hier treibe, und unser Trawler in der Zeit weiter fischen würde. Morgen so gegen 16.00 Uhr würden wir zurückgehen. Damit ich nicht allein die ganze Zeit wäre, durfte er auch übersteigen. Es dauerte gar nicht lange, dann konnte ich aufstehen. Der „Natschalnik“ machte mit uns einen Schiffsrundgang und wir gingen auch auf die Brücke. Ich bedankte mich beim Kapitän für die Hilfe. Hier erfuhren wir, dass das Schiff tatsächlich ein „Breitling“ Typ war. Es lief im Linienverkehr Mexico – Kuba – Leningrad (Petersburg) und war ein Kühlschiff. Da unser III. Nautiker einen Film, „Reise ins Ehebett“ (die Freunde waren auf die halbnackte Eva-Maria Hagen in dem DEFA Streifen ganz wild)und F 6-Stangen mitgebracht hatte, wurde ein Freundschaftstreffen mit der Komsomol-Leitung für den Abend vereinbart. Der Abend war grandios. Was es zum Abendbrot genaues gab, weis ich nicht mehr, irgendeine herzhafte Suppe. Dann wurde es aber feierlich. Während in der Mannschaftsmesse der Film lief, gab es bei der Jugendbrigade echt „Russische Gastfreundschaft“. Nach der fünften Runde Sto Gramm (100cl) Wodka, ein Stück frisches Schwarzbrot, Speck und herrlichen Moskauer Gurken hat es mich aus den Rennen genommen. Der III. hat wohl bis zur 10. Runde mitgehalten. Bloß gut, das viel Wodka keinen großen Kater macht. Wir hatten nur Pech, das es nach dem Mittag noch einen riesigen Verdauungsschnaps gab. Der hat uns beide restlos umgehauen. Als dann am Nachmittag die „Eisenach“ kam, um uns zurück an Bord zu holen, waren wir noch so dun, dass wir nicht auf die Leiter zum Beiboot treten konnten. Wir wären sofort in den Bach gefallen. So ist dann auch das Motiv für das Foto entstanden. Die Russen hatten Fender, so das ROS 212 längsseits gehen konnte. Mit einem Sicherheitsgurt um den Bauch wurden wir einzeln auf einem alten Autoreifen, der mit drei dünnen, sehr dünnen Drähtchen am Haken eines Baumes eingeschäkelt war, angebunden. Der Hiev ging in sehr große Höhe, wäre ich nicht so besoffen gewesen, hätte ich mir bestimmt vor Angst in die Hosen gemacht, auf unser Deck. Soviel nun noch zum Abschluss! Meinem Auge ging es sehr gut, ich hatte auch nie wieder Probleme mit der Verletzung. Der Alte hat dann noch ein „Danke-Paket“ aus Bordbeständen an den russischen Kaptain und ich an die Ärztin (viel war es nicht, was ich auf See hatte, um einer Frau Danke zu sagen- Florenacreme, Schokolade, Kaffee und auch noch eine Kiste „HB-Bier (Rostocker Hafenbräu)“) gegeben. Begleitet von fleißigem Winken ist dann jedes Schiff wieder auf seinen Kurs gegangen. R.Sommer
Himar Klotz Himar Klotz