Hochseefischer Welt
Fahrzeitberichte
Fisch satt Das Deck sprüht vor Nässe, die Klingen der Schlacht- und Kehlmesser blinken,die Fische glitzern. Mit dem Messer stürze ich mich in ein Gewimmel und Gezappel von leuchtendem Rotbarsch, silbergrauem Kabeljau, Heilbutt, geflecktem Catfisch mit den spitzen, mörderischen Zähnen, kleine und große Rochen, Köhler, schlanke Lengfische, Grund-Blau- und Dornhaie, die wild um sich schlagen – und Heringe. Zuerst fährt es mir kalt über den Rücken, bis ich bis zum Bauch in dem Gewimmel und Geschnappe wate. Ich muss mich heftig überwinden. Überall fahren Messer in zuckende Fischleiber, Eingeweide werden herausgerissen, die Leber wird zum Tran kochen in Extrakörbe geschleudert. Sortierte Fische fliegen durch die Luft, breite Gummistiefel treten auf den Fang. Die gequetschten und aufgeschreckten Tiere zappeln und winden sich. Sie sperren die Mäuler auf, spreizen die Kiemen und atmen schwer. In ihrer Verzweiflung fallen sie übereinander her. Dem aus der Tiefe geholten Rotbarsch quellen allmählich die Augen aus dem Kopf. Er wird wie alles andere über den hohen Süll einer der kleinen Luken in den Fischraum gekippt, wo ihn der Steuermann in Empfang nimmt und auf Eis legt. Der geschlachtete Kabeljau wird noch von dem Leichtmatrosen und mir eine halbe Stunde lang mit unseren Seestiefeln bearbeitet, damit auch das letzte Blut heraus gedrückt wird. In meinen Seestiefeln tummeln sich tote Seespinnen, Krebse und „Gammel“. Beim Treten werden sie ganz einfach in Hackfleisch verwandelt, wer kümmert sich schon darum. „Wasser an Deck!“ Die Deckwaschpumpe spült die Abfälle und das Fischblut in armdicken Strahlen durch die Speigatten außenbords in die See. Aberhunderte von Möwen haben auf diesen Augenblick schon gierig gewartet. Unsere Ölröcke sind blutbesudelt. Die Netze werden schnell notdürftig geflickt und dann wieder ausgesetzt. Und dann, ja, dann macht die Buddel Korn die Runde und spielt die Hauptrolle, danach der Schlaf, wenn’s auch nicht genügend ist! So geht das nun Tag und Nacht, bei Sturm, Regen und Hagel, ohne Rücksicht auf Prellungen oder vollkommen nasse Klamotten. Ich hab sie in der Zeit nur einmal wechseln können!
Netze flicken mit klammen Fingern
Fischer-Kampf mit harten Bandagen Während der Fangzeit gibt es nur einmal zusammenhängenden Schlaf – vier Stunden! Auf einen Poller oder ans Schanzkleid gelehnt, kann man auch schlafen. Allmählich geht alles automatisch. Es ist Donnerstag, Seemannssonntag. Es gibt tatsächlich Kuchen. Einige sitzen gemütlich in der Messe und verscheuchen ihre Müdigkeit mit Kaffee. Dann liege ich im Halbschlaf auf meiner Koje. Monoton dröhnt die Schraube, direkt unter mir gelegen, ihr Lied. Plötzlich klingelt der Maschinentelegraf. „Alle Mann an Deck!“ Ich jumpe aus der Koje in Ölzeug, Südwester und Ölstiefel. Unser Dampfer „kurrt“. Ein belgischer Trawler stampft in konvergentem Kurs auf uns zu. Rechtzeitig gibt unser Kapitän mehrere Warnsignale mit der Dampfpfeife. Der Alte verlangsamt. Nach dem Wegerecht hat er Vorfahrt, weil er mit dem Echolot dem Fisch auf den Fersen ist. Der Belgier denkt nicht daran, oder pennen die gar da drüben! Wir bleiben auch stur. Es kommt, wie es kommen musste: Die beiden Netze verhaken sich ineinander. Der Alte lässt hieven, drüben brechen die Kurrleinen von den Galgen. Wir nehmen den belgischen Fang über. Eine schöne Entschädigung! Nach alter Hochseefischersitte wird dem anderen das Geschirr wieder gegeben. Doch mit hochrotem Kopf lässt der Alte seine Axt auf die zum Zerreißen gespannte Kurrleine niedersausen—polternd verschwindet sämtliches Geschirr in der Tiefe. 10.000 Mark sind so in Sekunden auf den Grund des Meeres gejagt. Die Belgier sind aber auch nicht ganz so ohne, denn sie drehen bei und dampfen an der Steuerbordseite vorbei. Ein Hagel von schweren Schäkeln geht auf die JOHANNES KRÜSS nieder. Alle Belgier sind an Deck angetreten und wir fliehen nach achtern. Ergebnis: zwei Bulleyes zertrümmert. Die belgischen Schäkel bekommen von mir einen „Ehrenplatz“ im Kabelgatt.
Langusten lernen fliegen Die Heimreise wird ganz abrupt angetreten, alles vollzieht sich wenigen Minuten. Der letzte Hol ist eben an Bord gekommen, da wird das Netz auch schon abgeschlagen und auf dem Dom zum Trocknen aufgehängt. Der Kapitän drückt den Maschinentelegrafen auf „Volle Kraft voraus“. Mit schäumender Bugwelle verlässt JOHANNES KRÜSS den Fangplatz „Rosengarten“. Ergebnis: 4000 Korb. Im Logbuch steht: Position 63°3‘ N 11°41‘ W. 12.15 Uhr Antritt der Heimreise, Kurs 129°. Die Silhouetten der wenigen Dampfer, die weit auseinandergezogen noch auf dem Fangplatz sind, fallen zurück. Wir sind wieder allein im Nordatlantik. Als wir uns über Funk verabschieden, antworten viele Stimmen aus dem Äther, wünschen schnelle Reise, guten Markt und ein baldiges Wiedersehen. Zwei Stunden später haben wir, der Leichtmatrose, einige Matrosen und ich, schon das Deck gewaschen, Strecktaue gespannt, die Fischluken abgedichtet, allerhand festgezurrt und alles seeklar gemacht. Die Seewache zieht auf. Und für die Freiwache heißt es schlafen, schlafen und nochmals schlafen. Die harten Tage unter Island haben alle zermürbt. Für mich fängt nun der „Innendienst“ an. Offiziers- und Mannschafts-Toiletten und Waschräume auf Hochglanz bringen, Grätings weiß scheuern und mit ansehen müssen, wie sie Minuten später schon wieder schwarz sind, ausfegen und Gänge scheuern, bohnern und blankpolieren. Auch bin ich der Backschafter, Essenaufträger. Jeder Mann bekommt zum Frühstück vier gebratene Heringe und Omelette mit sauren Gurken. Mittags: meistens fangfrischen Bratfisch, Abends: Fischsuppe, Brot und Aufschnitt und was so dazu gehört. Eines Abends, es ist vor Schottland, gibt es sogar Langusten-Suppe, mehr Langusten als Suppe. Der Dampfer arbeitet schwer. Ich balanciere eine Riesenschüssel in die Messe und das Schiff holt über. Den Rest kann man sich denken. Die Langusten finden sich in der einen, die Suppe in der anderen Ecke wieder, ich mich genau in der Mitte. Im Nu habe ich die gesamte Mannschaft über mir. Ohrfeigen und Fußtritte werden gratis verteilt. Die Suppe ist hin. Die Suppe bildet eine Lache, die mit den wiegenden Bewegungen des Schiffes hin und her fließt. Die Schiffsschraube wird bald den letzten Schlag getan haben. Es gibt wieder Frischwasser aus allen Hähnen, so dass man nicht mehr dem Eimer über den Dom zur Kombüse turnen muss, wenn man es braucht. Die Islandfischer putzen und schrubben, sich selbst, ihre Kleidung und den Dampfer. Die Bärte fallen. Meine Arbeitsklamotten haben ausgedient. Sie verschwinden durch ein Bulleye und werden mit den Strudeln in die Tiefe gerissen. Auf Nimmerwiedersehen! Die JOHANNES KRÜSS hat auch eine kleine Überholung nötig. Über 3000 Seemeilen, mehr als 5000 Kilometer hat der Trawler uns getragen. Die Außenhaut trägt Schrammen vom Arbeiten mit Netz und Leinen. Alles Blankgescheuerte befällt der Rost wie ein rötlicher Schimmel. Schiff mit persönlicher Note Weiß von getrocknetem Salz ist der Schornstein, dem der Anstrich in großen Flächen abblättert und Rost und Mennige frei legt, seine Reedereimarke ist verqualmt. Am Achtermast flattern die ausgelaugten Netze im Winde. Schön kann man den Dampfer nun nicht mehr nennen, aber das ist eben seine „persönliche Note“. Lange wird am letzten Abend noch auf der überfüllten Brücke geklönt! Voller Erwartung findet niemand mehr richtige Ruhe. Am nächsten Morgen zeichnet sich auf der Kimm flach die deutsche Küste ab. Der Dampfer hat die Weser erreicht und mit der auflaufenden Flut zum Endspurt angesetzt. In einer guten Stunde werden wir wieder festen Boden unter den Füßen haben. Der Steuermann nimmt noch mal meinen abrasierten Bart unter die Lupe, sieht sich die blankgewienerten Schuhe an und prüft kritisch meinen Scheitel, der wahrscheinlich eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Blitz hat. Und noch etwas: Es ist nicht wahr, dass Fische und Fischdampfer stinken! Das einzige, was unangenehm riecht, ist der Trankocher. Moderne Fischdampfer sind die gesündesten Schiffe, die es gibt. Das Meer und der Regenwaschen sie täglich ab, und sind daher sauberer als ein Bananendampfer - wenn man vom unvermeidlichen Rost absieht. Die Maschine steht still. Der Trawler wird an Halle X festgemacht. Und ich bin als Moses der einzige, der bis zuletzt arbeiten muss. Mit einem schweren Vorschlaghammer schlage ich die Lukendeckel auf. Aber dann stürzen sich die Fischlöscher in die Laderäume und klauben den Fisch aus dem Eis. Ich packe eilends meinen Seesack, mustere ab und schaukle - nun aber seemännisch echt und auch stolz - über die schwankende Gangway. Der Alte steht mit seiner Frau auf der Pier. Im Vorbeigehen fragt er mich auf Plattdeutsch: „Na, Bootsmann, du hest dat aber eilich, ick gleuv, du willst ganz fix to dien Deern!“
Infos: Schiffsdaten FD (Fischdampfer) JOHANNES KRÜSS; Bauwerft: AG „Weser“, Werk Seebeck, Bremerhaven; Baujahr: 1956; BRZ: 650; Reederei: Hochseefischerei Carl Kämpf; Länge: 56 m; Breite: 9,15 m; Tiefgang: 5,0 m; Antrieb: gekapselte Dreifach-Expansions-Dampfmaschine; Leistung: 1250 PS; Geschwindigkeit (max.): 13 kn; Bunkeröl: 220 t; Kunsteis: 120 t; Besatzung: 23; Rufzeichen: DEQW; Flagge: Deutschland; Heimathafen: Bremerhaven; Fassungsvermögen Fischraum: 6300 Zentner; Fanggebiete: Nordsee, Norwegen-Küste, Barentssee, Bäreninsel, Spitzbergen, Island, Grönland, Labrador, Neufundland; Reisedauer (im Durchschnitt): 21 – 23 Tage; Schwesterschiffe: ALBATROS, ALDEBARAN, ALEMANIA, und etwa 30 weitere der selben Bauwerft und Zeit. Am 21. März 1967 teilt das dänische Marineoberkommando der Deutschen Botschaft in Kopenhagen mit, dass die Suche nach dem Bremerhavener Trawler JOHANNES KRÜSS eingestellt worden ist. Damit hatten sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet. FD JOHANNES KRÜSS war mit 22 Seeleuten untergegangen. Es wird vermutet, dass die ohnehin schon stark vereiste JOHANNES KRÜSS unter einer riesigen Kreuzsee begraben wurde oder aber mit einem unter Wasser treibenden Eisberg (Growler) zusammenstieß und sofort sank. Was immer diesem Schiff zugestoßen war: Es passierte alles in Sekundenschnelle. Der Trawler sank vermutlich in dem gleichen Seegebiet vor dem südgrönländischen Kap Farvel, in dem er sich im Januar 1959 durch enormen Einsatz bei der Suche nach Überlebenden des dänischen Grönland-Versorgungsfrachters HANS HEDTOFT ausgezeichnet hatte.
Klaus Hähnel Klaus Hähnel