Hochseefischer Welt
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Ein Januartag Was ist nur in diesem Winter 2017 mit dem Winter los. Jeden Morgen folgt nach dem Aufstehen der Blick aus dem Fenster und danach auf das Thermometer. Ach du meine Güte, was ist denn heute los, kein Schnee, keine zugefrorenen Autoscheiben aber das Thermometer zeigt -7°C an. Was für eine Kälte und was soll ich nun anziehen. Mir fällt erst einmal ein, dass ich in diesem Winter bisher weder Mütze noch Handschuhe getragen habe. Nun fangen bei mir die Gedanken an Purzelbäume zu schlagen. Obwohl ich eigentlich über meine Fischereizeit nicht mehr berichten wollte fasse ich den Entschluß, aufbauend auf den heutigen Morgen, mich in der Zeit zurück an Bord der BERNHARD KELLERMANN auf die Fangplätze vor West-Grönland zu begeben . Geht mit mir auf eine Zeitreise in einen Januartag im Jahre 1967. Das aufreißen der Kammertür und das laute Wort – Aufstehen !!!!! - rissen mich aus dem wohlverdienten Schlaf. Wobei der Schlaf eigentlich nicht sehr tief war. Die Tür wurde wieder zugeknallt und nun lag ich, immer noch hundemüde, in meiner Koje und ordnete die Gedanken. Welcher Tag war heute, ist es Tag oder Nacht und wie spät ist es eigentlich. Die Panzerblende des Bulleyes warwährend der Fischerei immer zugeschraubt. So wurde mir vorgegaukelt das es zum Schlafen immer nachts war. Zum anderen war zwischen Glas und Blende ein alter Pullover gesteckt, dieser sollte die grimmige Kälte zurück halten. DieTemperatur in der Kammer war auch nicht als warm zu bezeichnen. Die Versorgung der Kammern mit Warmluft war an ihre Grenzen gelangt. Das Aufstehen und Anziehen ging wie in Trance über die Bühne. Vor der kommenden Schicht schnell noch etwas in der Messe essen, und die Tageszeit dadurch erkennen. Zu der Zeit arbeiteten wir noch im sechs Stunden Rhythmus, da ich in der Schicht von 12 bis 18 Uhr sowie von 00 bis 06 Uhr gearbeitet habe, konnte ich an Hand des Essens erkennen wie spät es war. Suppe gab es zu Mitternacht und richtiges Mittagessen eben um 12 Uhr. Jetzt gab es Suppe, also war draußen finstere Nacht. Nach dem Essen war es an der Zeit zum Schichtwechsel. Den Betriebsgang nach achtern und das Schott hinter der Netzwinde öffnen. Wie ein Keulenschlag wirkte die Kälte, jedoch erst nur kurz, denn im Trockenraum mußte ich mich noch in die Arbeitsklamotten werfen. Rein in die warmen Klamotten, die Stiefel an und die Pelzmütze auf den Kopf. Auf einem der Heizrippen lagen meine Schlachthandschuhe zum Trocknen. Diese steckte ich erst einmal in meine Hosentasche, denn man mag es kaum glauben. Diese Handschuhe waren als Arbeitsschutzkleidung für die Leute an Deck nicht vorgesehen. Man musste schon gute Beziehungen zu dem Meister der Verarbeitung haben um einige Paare zu ergattern. So dünn sie auch waren, diese Handschuhe schützten ungemein vor der Berührungskälte am Fanggeschirr. Thermohandschuhe und Wärmecremes waren noch nicht erfunden. Stattdessen gab es Fausthandschuhe der einfachen Art und zum Kälteschutz der Hände wurde Wälzlagerfett zur Anwendung gebracht. Auf den Verarbeitern wurde ja kein Tran gekocht, und so war die wärmende Tranmaische, wie ehemals auf den Trawlern, nicht greifbar. Während ich den Trockenraum verließ, kamen die Kollegen der alten Schicht vom Bootsdeck, mit glücklichem Gesichtsaudruck, aber total durchgefroren herunter. Eine kurze Schichtübergabe mit trüben Erkenntnissen folgte, nun wußte ich was uns erwartet, zwei abgeschlagene und total zerlederte Netze lagen zur Reparatur auf dem Bootsdeck, in der Backbordhocke lag ein weiteres Netz mit nur noch leichteren Schäden. Das konnte ja wieder einmal heiter werden. Vor 15 Minuten wurde an diesem Netz wegen des bevorstehenden Hievens die Reparatur unterbrochen um das Arbeitsdeck frei zu bekommen. Die Lage an Deck war dermaßen prekär, dass die Kollegen während der abgebrochenen Reparatur an Deck und der Wachablösung, noch für 10 Minuten auf dem Bootsdeck gearbeitet haben. Während der üblichen kurzen Arbeitsein- weisung kam das Signal zum Hieven. Die Umdrehungen des Propellers gingen spürbar zurück und die Netzwinde begann nach dem 'Hiev up ' schwerfällig anzulaufen. Jetzt konnte ich erst einmal die Verhältnisse an Deck bewußt aufnehmen.Es wehte ein steifer kalter Wind, feine Eiskristalle flirrten in der Luft beleuchtet von den Quecksilber- dampflampen der Decksbeleuchtung. Das Licht beleuchtete noch schwach den Außenbordbereich. Was dort zu sehen war, hob nicht gerade die Stimmung, schwarzes, leicht rauchendes Wasser in einer Mischung aus Gries und leichtem Eis hob und senkte sich im Rhythmus der bewegten See. Diese Mischung erstickte förmlich die aufgewühlte See. Auf kleinen eisfreien Stellen wurde die Kraft des steifen Windes durch das Abreißen von kleinen Schaumkämmen sichtbar. Mein nächster Blick ging zum Thermometer, welches mir -20°C zeigte. Zum Glück fiel kein Schnee, aber verbunden mit dem scharfen Wind war es arg kalt. Der Windenfahrer rief die letzten 50 Meter aus und wir bezogen unsere Positionen am Heckportal. Die Bretter kamen aus dem Wasser und nun nahm alles wieder seinen gewohnten Gang, trotz der Kälte wurde mir bei der Arbeit nun wieder recht warm. Endlich lag der nur mäßig gefüllte Steert an Deck. Es war zu wenig um die Verarbeitung kontinuierlich mit Fisch zuversorgen. Steert auskippen, das Netz einer kurzen Inspektion unterziehen, leichtere Schäden sofort beheben, den Steertknoten binden und alles zum Aussetzen vorbereiten waren die gewohnten Arbeitsläufe. Zwischendurch kam eine Lautsprecheransage mit der Mitteilung eines kurzen Aufdampfens bis zum Aussetzpunkt. Ausruhen war da nicht drin, denn auf dem Bootsdeck lag ja noch reichlich Arbeit. Also alle hoch auf das Bootsdeck und ran an das Netz. An Deck war es ja schon kalt, aber hier oben an der Luvseite und bei voller Fahrt, war es schon eine brutale Erfahrung. Ich war beim Netzstricken mit den Händen ja ständig in Bewegung, jedoch der Leichtmatrose, der bei mir das Netztuch halten mußte, war nicht zu beneiden. Auch wenn er beim Halten hin und wieder die Übersicht verlor habe ich ihm eines erspart, den Schlag mit der Netznadel auf die kalten Finger. Diese Art der 'Hinweise' habe ich vor einigen Jahren selber erfahren. Auch wenn hin und wieder harte Worte durch mich gefallen sind, habe ich auf diese 'Nadelarbeit' verzichtet. Warum sollten die Qualen, die wir alle in der Kälte empfanden, noch verstärkt werden. Dann war es soweit, die Maschine ging mit der Drehzahl herunter und der Dampfer begann beachtlich kränkend auf Gegenkurs zu gehen. Dann raste ein Schatten an uns vorbei in Richtung Trawlbrücke, es war der Rudergänger. Ich hörte ihn noch fluchen was das doch für eine Saukälte wäre. Eigentlich hatte er doch Glück auf der warmen Brücke. Wir haben ihn ob der wärmeren Umgebung nicht beneidet, denn sich das Gebrabbel auf der Brücke vom Wachhabenden und dem 'Alten' anzuhören war nicht jedermanns Sache. Wenn gut gefangen wurde war noch so etwas wie Gute Laune im Spiel. Aber wehe dem Wachhabenden, wenn die Fangausbeute weniger wurde oder wir kein heiles Netz zur Verfügung hatten, um schnell wieder auszusetzen. Das Gezeter des 'Alten' war dann vorprogrammiert. Wenn an Deck alles gut lief war auch er zufrieden und hat mich in Ruhe gelassen. Aber momentan sah es gar nicht so gut aus. Jedenfalls war nun auch der Wachhabende auf der Trawlbrücke eingetroffen und das Schiff wurde so langsam auf Aussetzkurs gebracht. Dann kam das erlösende ' schmeiß weg !' und das Aussetzen begann. Nachdem das Netz am Grund war, haben wir, da wir jetzt in ein Eisfeld schleppten, die Kurrleinen in die Slip gelegt. Das kaputte Netz aus der Hocke hieven und die Reparatur an Deck fortzusetzen war der nächste Arbeitsschritt. Da wir an Deck mit sechs Leuten gearbeitet haben blieb der Windenfahrer an der Winde, drei Mann blieben an Deck und die restlichen zwei Kollegen gingen wieder auf das Bootsdeck. Nach zwanzig Minuten wurde bereits wieder das Hieven vorbereitet. Auf dem ruppigen Grund war keine längere Schleppzeit möglich, da es hier als Kantenfischerei bezeichnet wurde hatten wir das Ende der befischbaren Kante erreicht. In diesem ständigen Wechsel von Aussetzen, Reparatur und erneutem Aussetzen war es mittlerweile 5:30Uhr geworden. Insgesamt haben wir in dieser Schicht drei Hols gemacht und hatten bis auf auf einige kleine Löcher und durchgescheuerte Ochsen* keine großen Schäden zu verzeichnen gehabt. Das Netz in der Hocke war wieder einsatzbereit und auch eins der beiden Netze auf dem Bootsdeck war kurz vor der Fertigstellung. Unsere Ablösung war bereits geweckt und wir machten uns wieder zum Hieven bereit als die Durchsage kam : "Bestmann auf die Brücke !" . Also habe ich mich auf den Weg dorthin gemacht. Der 'Alte' war schon auf den Beinen und schaute mich etwas übellaunig an. Zuerst kam die Frage nach den einsatzbereiten Netzen und dann kam die weitere Weisung, die ich der Ablösung mitteilen sollte : ' wir setzen nicht mehr aus sondern dampfen ca. fünf Stunden südlicher, Bestmann und Netzmacher gehen an das Netz auf dem Bootsdeck, der Windenfahrer bleibt hinter der Winde und die anderen drei gehen in die Verarbeitung'. Diese Weisung kam bei den Kollegen aber gar nicht gut an. Von einem Kollegen, der in späteren Jahren als Kapitän gefahren ist, mußte ich mir anhören, "dass wir uns auf dem Bootsdeck wohl ausgeruht hätten". Diese Meinung hat mich nicht einmal in Rage gebracht, denn dazu war ich zu sehr erschöpft und durchgefroren. In der Zwischenzeit zeigte das Thermometer bereits -25°C an. Beim anschließenden Frühstück hatte ich Mühe mit dem Besteck mein Spiegelei zu essen, so saß der Frost noch in den Händen. Daran, dass ich in knapp fünfeinhalb Stunden wieder an Deck stehen werde, habe ich keinen Gedanken verschwendet. Pünktlich 12:00 Uhr nach dem Mittagessen stand ich wieder an Deck, auf einem neuen Fangplatz, jedoch mit der gleichen Kälte in der Luft. Zwischendurch hatte ich mitbekommen, dass die Verarbeitung wegen Fischmangel vor zwei Stunden die Produktion eingestellt hatte. Daraufhin konnte ich mir nicht verkneifen, dem einen Kollegen noch einen guten Weiterschlaf zu wünschen. Nachdem wir dann auf dem neuen Fangplatz ausgesetzt haben ging ich auf das Bootsdeck und mußte feststellen, dass das dort noch liegende Netz in dem Zustand war, wie wir es vor sechs Stunden verlassen hatten. Was sollte ich davon halten ? Da ich während meiner Fahrenszeit auch auf Seitentrawlern gefahren bin konnte ich die Vorzüge auf einem Verarbeiter richtig einordnen. Für kein Geld der Welt wäre ich wieder auf einem Seitentrawler aufgestiegen. Die Zeit dieses Schiffstyps war gezählt und in anderen Fangflotten bereits im Ausklingen. Nun bin ich mit meinem Bericht am Ende angelangt. Ich denke mir, dass diese Erinnerung an einen halben Fischereitag ruhig einmal im Gedächtnis der damals jungen Leute wiederbelebt werden sollte. Wenn der eine oder andere beim Lesen nachdenklich werden sollte, habe ich mit diesem Bericht mein Ziel erreicht. Mittlerweile ist es in der Jetztzeit bereits Ende Februar und in der Zwischenzeit hatten wir auch etwas Winter mit etwas Schnee und Temperaturen zwischen minus zehn und fünfzehn Grad. Was für ein Sauwetter!
Februar 2017 - Rückblick von Bernd Leverenz
50 Jahre später