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Riesenfrachter im Orkan Von Peer Schmidt-Walther Größtes deutsches Schiff wurde kräftig durchgeschüttelt
Im Hamburger Hafen verdunkelt eine graue Stahlwand den Himmel: "Peene Ore" verraten die weißen Lettern am hoch aufragenden Steven. Die Kletterpartie über die 16 Meter hohe Gangway an Bord des größten deutschen Schiffes verlangt Schwindelfreiheit - und Handschuhe. Erzstaub hat die Geländer rot eingefärbt wie alles an Deck. Kapitän Günter Appel aus Rostock überwacht die Beladung der "Peene Ore" (sie heißt jetzt „Paradise N“), die mit einer Ladefähigkeit von 320.000 Tonnen als zweitgrößter Massengutfrachter der Erde gilt. Der very large ore carrier (VLOC), benannt nach dem längsten Fluss in Mecklenburg-Vorpommern, fährt seit drei Jahren als Flaggschiff der Reederei F. Laeisz, die seit 1993 ihren Hauptsitz im Rostocker Seehafen hat. Ihr traditionsreicher Hamburger Ableger war Eigner so berühmter Flying-P-Liner wie "Pamir" und "Passat", die einst unter Segeln Getreide, Phosphat und Salpeter von Südamerika über den Atlantik karrten. Warnung: "Außergewöhnliches Fahrzeug" Morgens 5.00 Uhr lässt ein tiefes Grummeln den Schiffsgiganten erzittern: Auslaufen. Schlepper zerren den 332 Meter langen und 58 Meter breiten, 1997 gebauten 78-Millionen-Dollar-"Dampfer" von der Pier ins Hafenbecken und dann unter die Köhlbrandbrücke hindurch. Voraus läuft ein Boot der Wasserschutz- polizei unter Blaulicht. "Elbe traffic" warnt über Funk vor dem "außergewöhnlichen Fahrzeug" und gibt der "Peene Ore" freie Fahrt. Eine schifffahrtspolizeiliche Sondergenehmigung macht es möglich. Mit 11,70 Meter Ballasttiefgang und neun Knoten rutscht der gewaltigste Frachter, den Hamburg je gesehen hat, elbabwärts. In den Blankeneser Villen schläft man noch. "Bei Tage hätten wir für Verdunkelung gesorgt", scherzt Kapitän Appel. Acht Stunden später gehen die Lotsen von Bord. Der wachhabende Zweite Offizier Georgi Russak legt die Hebel auf "volle Fahrt voraus".
Überschüttet von Wasserbergen "Peene Ore" nimmt jetzt allein ihren Weg Kurs Englischer Kanal und Atlantik. 34.000 PS bringen sie auf 16 Knoten bei einem Tagesverbrauch von 98 Tonnen oder vier Tanklastzügen Schweröl. Davon sind 6.800 Tonnen gebunkert worden. Der Zehn-Meter-Propeller mit seinem 95 Tonnen-Gewicht bringt die autobahnbreite Hecksee zum Kochen. Die Nordsee empfängt den Bulk-Carrier-Koloss stürmisch und kühl. Erste Gischtkaskaden steigen über die 24 Meter hohe Back. Via Ticker laufen Warnungen über extreme Sturmstärken und Seegangshöhen ein. "Das kann uns wenig anhaben", meint der Kapitän. Das zweieinhalb Fußballfelder lange Hauptdeck biegt sich im Rhythmus der anrennenden Brecher durch: über einen Meter auf und nieder. Mit nur noch fünf Knoten boxt sich der Riese voran - und überholt dabei noch alle anderen Mitläufer. Die inzwischen über zwölf Meter hoch gehende See überschüttet die kleineren Frachter mit Wasserbergen. Keiner an Bord der "Peene Ore" möchte jetzt mit den gebeutelten Kollegen dort drüben tauschen.
Biskaya setzt eins drauf Kaum ist die legendäre Ile d´Ouessant, der nordwestlichste Punkt Frankreichs gerundet, setzt die Biskaya noch eins drauf. Der Wind heult in Orkanstärke 12 mit über 75 Knoten um die Aufbauten. Der Koloss gerät allmählich aus der Fassung. In den Kammern fliegt alles, was nicht niet- und nagelfest gezurrt ist, durcheinander. Geräte werden aus der Verankerung gerissen, Schreibtischlampen splittern, Geschirr und Gläser gehen zu Bruch. Selbst der Schiffsfahrstuhl bleibt hängen. Bis zu 30 Grad rollt und torkelt der zitternde Gigant nach jeder Seite. An Deck könnte man Bergsteigen, doch das tobende Orkantief "Oratia" würde einen Menschen glatt über Bord fegen. Selbst Kapitän Appel kann sich nicht erinnern, jemals solche Bewegungen bei diesem Schiff erlebt zu haben. Mit Betroffenheit hört die Besatzung vom Untergang eines Chemikalientankers im gleichen Seegebiet. Zum Glück konnten alle Mann des 6.000-Tonners gerettet werden. Irgendwo bei Cap Finisterre treiben noch 20 von Deck eines Frachters losgerissene Container, vor denen die Küstenwache warnt. Querab der Kanarischen Inseln hat sich der Atlantik beruhigt. Die Sonne bekommt täglich mehr Kraft, heizt Luft und Wasser auf. Gelegenheit zum Bad im 28 Grad warmen Meerwasser-Pool, der täglich zwei Mal frisch gefüllt wird.
Gigantische Massenbilanz Nach 4.302 Seemeilen heißt es erst mal Ende der Reise. Der 23-Tonnen-Anker rasselt auf Reede vor Punta do Madeira im brasilianischen Bundesstaat Maranhon in den Grund. Zwei Tage sind für das Laden der gigantischen Erzmenge eingeplant. Sie entspräche 40 Eisenbahnzügen mit je 100 Waggons à 80 Tonnen. Zusammen mit dem Wasser müssen in nur 28 Stunden 550.000 Tonnen umgeschlagen werden, ungefähr so viel wie der Jahresumschlag des Hafens Stralsund kurz nach der Wende. Für Landgang mit heißen Samba-Rhythmen, kühlen Drinks und "leichten Mädchen" bleibt keine Zeit. Schon in wenigen Stunden läuft die "Peene Ore" mit Erz ums Kap der guten Hoffnung nach Japan aus. Info: MS „Paradise N“ (ex „Peene Ore“): 155.051 BRZ; 322.398 tdw; 332 m Länge; 58 m Breite; 23 m Tiefgang; geb. 1997 bei Daewoo Shipbuilding, Korea; Maschine: MAN B & W 25.502 kW; 14,7 Knoten Buchung: Diese Reise (mit Fortsetzung zu weiteren Häfen bzw. Rundreise) kann man u.a. buchen bei F. Laeisz Schifffahrtsgesellschaft, Frau A. Bartsch, Trostbrücke 1, 20457 Hamburg; Tel.: 040-36808248; bartsch@laeisz.de
Stralsunder Heimatflagge an der Signalrah