Hochseefischer Welt
See-Episoden anderer Art
MS “Thetis” MS “Thetis”
Reiseeindrücke von Dr. Peer Schmidt-Walther
„Elbe“ – innovativ und preisgekrönt Die ganz besondere Kreuzfahrt in der Deutschen Bucht Gischtschleier nehmen die Sicht. Dahinter wird braunes Flusswasser hochauf verquirlt. Vor die gleißende Sonne schiebt sich eine schwarze Stahlwand. Da ´rauf? Dr. Peer Schmidt-Walther musste es für diese Geschichte. Nach einem eleganten Halbkreis schmiegt sich das Boot mit der Aufschrift PILOT an die hohe Flanke des Containerfrachters.
Lotsentender auf Seite mit einem Frachter
Elblotse steigt über
Auf- und Abstieg: täglich Brot für die rund 500 Lotsen an der deutschen Nordseeküste. „Und nicht immer so gemütlich wie heute“, lächelt der Mann, der gleich nach der herabbaumelnden Strickleiter greift und mit umgehängter Tasche die Holzsprossen aufentert. Der Elblotse, selbst ehemaliger Kapitän, kommt an Bord. Bis Brunsbüttel berät er den Frachter-Kollegen. „Bei Westwind kann das schon hier ziemlich ruppig zugehen“, gibt der Lotse zu bedenken, nachdem er seinen Kollegen empfangen und kurz über die aktuelle Situation informiert hat. Mit einem „Good bye, captain! Have a good voyage!“ verabschiedet er sich. Dass ich auf dem „falschen Dampfer“ bin, hat er mir allerdings erst kurz vorher verraten, denn „der hier geht durch den Nord-Ostsee-Kanal“. Ich hingegen habe etwas anderes im Sinn: das „Nordsee-Hotel“ weit draußen in der Deutschen Bucht. Was es damit auf sich hat? Bis zur Lüftung des Geheimnisses heißt es an Land warten. Die neue Lotsenstation in Brunsbüttel ist dafür gut geeignet. Ein halbes Dutzend Männer, allesamt „Kapitäne ohne Schiff“, wie sie sagen, mit einer fast fünfjährigen Zusatzausbildung zum Lotsen für unbegrenzte Schiffsgrößen. Sie warten auf ihren nächsten Einsatz. „Es geht wieder aufwärts“, sagt der Wachhabende, „obwohl die Zahl der Schiffe fast gleichbleibend ist, aber es kommen mehr größere Schiffe mit mehr Ladung“. Kürzeste Kreuzfahrt Für nach Mitternacht ist ein besonderer Kunde angekündigt: das neue Kreuzfahrtschiff „AIDAblue“ auf dem Weg nach Le Havre. Das Boot kurvt hinaus auf die pechschwarze Elbe. Aus Hamburg kommend voraus ein hellerleuchtetes Hochhaus: unser Schiff. Etwa das „Nordsee-Hotel“? Der Einstieg durch die Seitenpforte ist genauso bequem wie die Fahrstuhlfahrt über neun Decks auf die Brücke des Kreuzfahrtriesen. „Das bieten nicht viele Dampfer“, gibt ein Lotse zu bedenken. Wir sind zu Dritt, denn zwei Männer sind noch wachfrei. Sie benutzen die „AIDAblu“ als „Wassertaxi“, wie sie sagen, um vom Lotsenstationsschiff, das zwölf Seemeilen südöstlich von Helgoland operiert, andere Schiffe nach Hamburg zu begleiten. Ihr Interesse am Neubau ist groß. Auf Empfehlung von Kapitän Dr. Friedhold Hoppert nutzen sie die unfreiwillige Wartezeit, um den 80.000-Tonner gründlich zu inspizieren. Ein Rundgang zu nachtschlafener Zeit durch alle Decks, die gähnend leer sind. Während der eine nicht unbedingt ein Freund dieser boomenden Reiseform ist, kann sich der andere durchaus dafür erwärmen: „Werd´ ich meiner Frau mal für den Urlaub vorschlagen“. Nach zweieinhalb Sightseeing-Stunden endet – weit draußen vor der Flussmündung bei der Leuchttonne „Elbe“ – die kürzeste Kreuzfahrt meines Lebens. Passgenau fährt eine Laufbrücke an die Lotsenpforte. Mit einem Schritt bin ich drüben, an Bord des 25-Meter-Lotsentenders „Döse“. Ein Katamaran mit Power. 1600 kW heulen auf und das futuristisch anmutende „Boot“ prescht mit 18 Knoten hinaus i n die Nacht. Die Lichter des hell erleuchteten Kreuzfahrtschiffes spiegeln sich tausendfach in der Nordsee und werden langsam kleiner. Leuchttonnen blinken mit den Sternen um die Wette.
Ausgezeichneter Komfort Wenig später: noch ein Schritt - angekommen auf der „Elbe“, dem „Mutterschiff“ des Tenders. Beim Gang zu meiner Kammer auf Deck sechs werfe ich neugierig links und rechts Blicke in die Messen und Aufenthaltsräume des brandneuen Lotsenstationsschiffes, kurz LSS genannt: Die liebevolle Bezeichnung „Nordsee-Hotel“ ist hier durchaus angebracht. Das gilt nicht nur für die gemütlich- geschmackvollen Unterkunfts- und Aufenthaltsräume, sondern - wie man spätestens am nächsten Morgen beim opulenten Frühstück feststellt - auch für die Küche: deftig-kräftige Hausmannskost von Smutje Jörg Jakobeit, die „Mutterns“ zeitweilig in den Schatten stellt. Nach einer zweiwöchigen Schicht hat jeder der 26-köpfigen Besatzung sicherlich ein paar Zentimeter mehr auf den Hüften, wenn er nicht Fitnessraum und Sauna frequentiert.
Elbe Kapitän (r) und ein Seelotse
Blick in eine Lotsenkammer
Die konventionellen einrumpfigen „Elbe“-Vorgänger vom Typ „Kommodore Ruser“ waren mittlerweile über 40 Jahre im Dienst: komfortlose, aber durchaus robuste Arbeitspferde, die auch ihre Liebhaber hatten. Vergangenheit für die Elblotsen und, mit dem zweiten Neubau „Weser“, auch für ihre Kollegen aus dem Nachbarrevier. Schluss auch mit Dauerschaukelei, muffigen Mehrbettkammern, ständigen Maschinengeräuschen, Surren der Bootswinden, fehlenden Freizeitmöglichkeiten und wenig erholsamem Schlaf. Gegenüber herkömmlichen Einrumpfschiffen bieten SWATHs einen weiteren Vorteil: die Unterbringung der Antriebselemente in den beiden Schwimmkörpern. Sie sind damit vom Wohnbereich getrennt und kaum zu hören. Scherzhaft werden sie daher auch „Flüsterschiffe“ genannt. Lotsenältermann Albrecht Kramer und viele seiner Kollegen sind froh darüber. Diese neue Schiffsgeneration heißt SWATH: Small Waterplane Area Twin Hull, zu Deutsch etwa: Doppelrumpfschiff mit geringem Wasserwiderstand. Wegen seiner ausgefeilten und innovativen Technik wurde LSS „Elbe“ preisgekrönt als „Schiff des Jahres 2009“. Nach der Taufe am 1. März 2009 durch Susanne Ramsauer, Ehefrau des Bundesverkehrsministers, hat das modernste Lotsenstationsschiff der Welt seinen Dienst in der Elbmündung aufgenommen. Auch für die traditionsreiche Werft und Luxusyacht-Schmiede Abeking & Rasmussen eine hohe Auszeichnung und Werbeträger für weitere lukrative Aufträge. Holland und Belgien sind die ersten gewesen, die sich für das neue Konzept mit Katamaran-Tendern und LSS – 50 Millionen Euro pro Stück - entschieden haben. Dafür bekommt man auch einen mittleren Containerfrachter der jüngsten Generation.
LSS Elbe und Tender in Fahrt
Gestützter Schiffskörper Dabei geht es – sehr vereinfacht ausgedrückt -, „nur“ um „sanftes Verhalten in rauer See“. Der revolutionäre Stahl-Rumpf basiert übrigens auf einem deutschen Patent von 1930. Anfangs war das Prinzip sehr umstritten, denn mit „Schiff“ im traditionellen Sinn hat es nur noch wenig zu tun: ein auf sehr schmalen Stützen ruhender Schiffskörper, der unter Wasser von zwei U-Boot-ähnlichen, ständig getauchten Schwimmkörpern getragen wird und der Energie von Wellen somit kaum Angriffsfläche bietet, was auch Treibstoff spart. Physik am Rande: Wellenbewegungen, die an der Wasseroberfläche am heftigsten sind, nehmen mit zunehmender Tiefe ab. Die beiden Antriebskörper verjüngen sich zum Heck hin und besitzen zur weiteren Verbesserung des Seegangsverhaltens zusätzlich computergesteuerte bewegliche Stabilisierungsflossen im vorderen Bereich. Elektriker Ralf Griebel, der mich durch die Unterwelt der „Elbe“ führt, ist voll des Lobes über die Technik „seines Dampfers“, der so etwas wie „ein Quantensprung“ sei: Zukunft total.
Wachingenieur im Maschinen-Leitstand
Technik unter Wasser, in einem der beiden Schwimmkörper
Das Verhalten bei Seegang sei ähnlich ruhig wie bei drei- bis viermal so großen Einrumpfschiffen. So jedenfalls lautet die Kurzformel für das „Geheimnis“ SWATH, wie Chief Rainer Traeger es formuliert. Oder mit anderen Worten: Ihre Bauweise bietet wenig Angriffsfläche für Wellen und Seegang und garantiert auch auf hoher See eine sichere und stabile Arbeitsplattform. Genau aus diesem Grund hatte sich zuvor auch schon die Deutsche Marine für den Bau des von ihr betriebenen NATO-Forschungsschiffes „Planet“ entschieden. Halbtauchende Ölbohrinseln standen Pate für SWATH, um Seegangsbewegungen zu minimieren. Übrigens auch ein schon jahrhundertealter Traum von Seeleuten, die nichts weniger mögen als Wind und Seegang, weil das nämlich Schlaf, Bewegungs- und Arbeitsfähigkeit reduziert. Die Männer wollen beim Arbeiten nicht auf allen Vieren kriechen, sondern aufrecht arbeiten, wie Viele immer wieder bestätigen. SWATH indes schlägt der Physik und menschlichen Empfindungen ein Schnippchen. Aufwändig ist das bisherige Verfahren, Rollbewegungen mit Hilfe von Stabilisatoren und Anti-Schlingertanks - wie auf vielen Passagierschiffen - beizukommen. Effiziente Sicherheit Erfahrungen sammelte man mit der zehn Meter kürzeren ersten „Elbe“, die nach zehn Jahren Einsatz mittlerweile in „Hanse“ umbenannt worden ist. Sie wird zukünftig als Reserveschiff in der gesamten Deutschen Bucht vorgehalten. Zum Beispiel wenn ihre großen Schwestern „Elbe“ und „Weser“ alle 14 Tage zum Bunkern und Besatzungswechsel Cuxhaven oder Bremerhaven anlaufen müssen, sagt Kapitän Oliver Göttsche und konzentriert sich gemeinsam mit dem Nautischen Offizier Ulrich Adamek wieder auf die Radar- und Seekarten-Monitore in ihrem Backbord- Steuerstand. Drei Telefone müssen bedient werden, um Anrufe von ein- und auslaufenden Schiffen anzunehmen, Buch darüber zu führen, die Lotsen und Kapitäne an Bord und auf den Schiffen sowie dem Tender zu informieren. Stress pur. Tag und Nacht im Drei-Wachen-Schichtbetrieb. Auch wenn der Tender „Döse“ an- oder ablegt, müssen die Männer auf der „Elbe“-Brücke wachsam sein und Manöver fahren. „Ein Job eher für Frauen“, scherzt der Kapitän, „die können doch mehrere Dinge auf einmal tun“. Selten legt der Tender ab mit nur einem Lotsen an Bord. „Das war früher so“, erklärt Ulrich Adamek, „da hockten maximal drei Mann bei Wind und Wetter im kleinen, offenen Versetzboot“. Heute nimmt der SWATH-Tender bis zu acht Lotsen mit. „Das spart viel Zeit“, so Göttsche, „denn die hat heute keiner mehr und ist teuer“. Neu ist auch, Mit dass der Katamaran mit bis zu zwölf Knoten längsseits eines Frachters geht, der nicht mehr wie sonst Lee machen, stoppen und wieder anfahren muss. Bei bis zu neun Windstärken und sechs Meter über der Wasserlinie wird gearbeitet. Eine Lotsversetzung per Hubschrauber wäre viel teurer und nach wie vor gefährlich. Für kleinere Seeschiffe mit bis zu zwei Meter Freibord wird allerdings eines der beiden Speedboote mit Hilfe eines einarmigen Spezialdavits in Sekundenschnelle zu Wasser gebracht. Innovativ auch diese norwegisch-französische Konstruktion. Alle Fachleute an Bord wie an Land sind sich darüber einig: So effizient, komfortabel und sicher war die Lotsversetzung noch nie. Spezialschiffbau made in Germany hat - nach wie vor - die Nase vorn! Traditionelles Lotsen-Stationsschiff Commodore Rolin in schwerer See
Technische Daten LSS (Lotsenstationsschiff) „Elbe“, LSS „Weser“: Auftraggeber und Eigner: Wasser- u. Schifffahrtsdirektion (WSD) Nord (Kiel/Aurich); Betreiber/Reeder: Lotsbetriebsverein (LBV), Außenstelle Cuxhaven; Heimathafen: Cuxhaven; Bauwerft: Abeking & Rasmussen, Lemwerder; Baujahr: 2009/10; Baunummern: 6484/6485; Abmessungen: 60,40 m lang, 24,60 m breit, 6,00 m tiefgehend; Verdrängung: 1480 t; dieselelektrischer Antrieb, 4 Hauptmaschinen MTU 8V 4000 M50 à 760 kW; Generatoren: 4 x AEM SE 400 L4; Propeller: 2 Schaffran Festpropeller; Brennstoffkapazität: 148 t; Geschwindigkeit (max.): 13 Knoten; Besatzung u. Lotsen: 34 + 50; Klasse: Germanischer Lloyd, GL + 100 A5K+MC AUT, Pilot Vessel Technische Daten der vier Versetztender „Döse“, Duhnen“, Wangeroog“, „Borkum“: Auftraggeber und Eigner: Wasser- u. Schifffahrtsdirektion (WSD) Nord (Kiel/Aurich); Betreiber/Reeder: Lotsbetriebsverein (LBV), Außenstelle Cuxhaven; Heimathafen: Cuxhaven; Bauwerft: Abeking & Rasmussen, Lemwerder; Baujahr: 1999 bzw. „Wangerooge“, „Borkum“ 2009/10; Baunummern: 6427, 6428, 6429, 6430; Abmessungen: 25,65 m lang, 13 m breit, 2,70 m tiefgehend, 5,90 m seitenhoch; Verdrängung: 125 t; dieselelektrischer Antrieb, 2 Haupmaschinen: MTU 12V2000M70 à 790 kW; Generatoren: 2 x AEM; Getriebe: 2 x Reintjes WVS 430; Propeller: 2 x Festpropeller; Brennstoffkapazität: 10 t; Geschwindigkeit (max.): 18 Knoten; Klasse: Germanischer Lloyd, Fahrbereich Deutsche Bucht bis durchschnittl. 3,50 m (max. 5 m) Wellenhöhe